Der Sonntag war dann zunächst geprägt von 10.497 Jedermännern, die zwei Strecken über 60 bzw. 120 km unter die Räder nehmen konnten und dem Rad Race über 42 km, wo es mit 500 Teilnehmern auf Bahnrädern ohne Freilauf (single speed – fixed gear) um die zweite Auflage der Weltmeisterschaft ging. Dieses Spektakel wurde von den vielen Zuschauern entlang der Strecke mit viel Beifall bedacht, ein Rennen, das in der Zukunft noch mehr Aufsehen erregen dürfte und von Alexander Müller von den Maloja Pushbikers gewonnen wurde
Unter den Jedermännern, die die 120 km-Strecke in Angriff nahmen, waren auch vier Flüchtlinge aus Syrien, die eine Lizenz bei der NRVg. Luisenstadt gelöst haben sowie zwei derzeit in Berlin weilende, junge Gäste aus dem Libanon, Youssof Mrad und Garen Arabkirlian, die alle mit einem Schnitt von über 42 km/h im vorderen Feld das Rennen beendeten. Für die Fahrer aus Syrien und dem Libanon war dieses Rennen ein tolles Erlebnis, denn ein derartiges, großes Starterfeld, eine hervorragende Streckensicherung und dazu noch viele Eindrücke von Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt, all das war für sie mit Sicherheit absolutes Neuland.
Der Höhepunkt der Veranstaltung war die Deutsche Straßenmeisterschaft der U 23, die in diesem Jahr an die Stelle des sonstigen Profirennens trat und dabei mit einem äußerst spektakulärem Rennverlauf Zeichen setzte. Schon vor dem Rennen zeigte sich der spätere Sieger Pascal Ackermann sehr selbstbewusst, als er auf seine Chancen angesprochen entsprechend reagierte: „Für mich zählt heute nur der Sieg“, war seine knappe Antwort, die sich später bestätigen sollte. Bis es soweit war, gab es aber einen Rennverlauf, der es in sich hatte. Von Beginn an gab es im Feld der 139 Starter immer wieder Ausreißergruppen, in denen sich neben Topfavoriten wie Lennard Kämna von der Stölting Service Group vor allem aber auch stets die Fahrer des Continentalteams LKT Brandenburg in Szene setzten. In einer ersten Dreiergruppe mit dem Berliner KED-Stevens Fahrer Malte Jürß waren Jasper Frahm und Marcel Franz dabei, zu denen später noch Viktor Müller vom Team Sauerland, Leo Appelt vom BMC Development Team und Geburtstagskind Leon Echtermann vom Team Espoirs-Fachklinik Dr. Herzog aufschlossen.
Als diese Gruppe bei Kilometer 60 eingeholt war, ging es Schlag auf Schlag weiter, bis sich eine achtköpfige Spitze mit Lennard Kämna gebildet hatte, die durchaus ernst zunehmen war. Mit Leon Rohde und Robert Kessler waren erneut zwei Fahrer von LKT Brandenburg dabei, des weiteren fuhren in dieser Gruppe Jonas Härtig vom Team Sauerland, Jannik Steimle vom Continentalteam Felbermayr-Simplon Wels aus Österreich, Georg Loef vom Team Christina Jewelry Pro Cycling, erneut Leon Echtermann und der junge Berliner Christopher Schulz vom KED-Stevens Rad Team. Sie fuhren einen Vorsprung von bis zu drei Minuten heraus, als Leon Echtermann und Christopher Schulz abreißen lassen mussten. Man war sich danach nicht mehr einig und so startete Jannik Steimle eine Alleinfahrt über zwei Zielrunden, die ihm maximal 15 Sekunden Vorsprung einbrachte und eher aussichtslos erschien.
Als noch drei Runden zu je 8,1 km zu fahren waren, hatten Leon Rohde, Robert Kessler und Lennard Kämna wieder zu Jannik Steimle aufgeschlossen, aber der Vorsprung zum Feld betrug nur noch 42 Sekunden. Nach einer 70 km langen Flucht wurden sie vom jagenden Feld etwa bei Kilometer 150 eingefangen und danach versuchte es zunächst der junge Martin Alexander Salmon von der Chambery Cyclisme Formation im Alleingang, bevor er Gesellschaft erneut von Jasper Frahm und dem KED-Stevens Fahrer Luca Niederlag bekam. Als Luca Niederlag aufgrund eines Defektes zurückfiel, wurden die beiden Ausreißer etwa einen Kilometer vor dem Ziel vom Feld gestellt und so war der prognostizierte Massenspurt Wirklichkeit geworden. An der erfolgreichen Nachführarbeit im Feld beteiligte sich neben den Teams rad-net ROSE, P&S Thüringen und Kuota-Lotto vor allem auch das Berliner Team KED-Stevens, das auf seine schnellen Sprinter Lucas Carstensen und Moritz Malcharek setzte.
Ein wenig überschattet wurde das Rennen durch einen Sturz etwa 500 Meter vor dem Ziel, in dem auch einige aussichtsreiche Fahrer wie Leo Appelt verwickelt waren, der mit 10 Minuten Rückstand mit seinem demolierten Fahrrad an der Hand zu Fuß ins Ziel kam. Dagegen konnte der mit einigem Druck ins Rennen gegangene Pascal Ackermann strahlen: gegen seinen unwiderstehlichen Spurt auf der langen Zielgeraden hatte keiner eine Chance und so setzte er seinen diesjährigen Leistungen mit dem Berliner Hattrick – er hatte vor kurzem zwei Etappen der Tour de Berlin gewonnen – die Krone auf. Der starke Konrad Geßner vom P&S Team Thüringen und Willi Willwohl vom LKT Team Brandenburg hatten das Nachsehen und mussten sich mit den weiteren Podiumsplätzen begnügen. In der ersten größeren Gruppe mit 15 Fahrern überraschten die Berliner KED-Stevens Fahrer Moritz Malcharek und Sebastian Schmiedel mit den Plätzen 7 und 12, womit Moritz Malcharek bester Fahrer des jüngsten Jahrganges 1997 wurde. Als dritter Berliner in dieser Gruppe kam Tim Reske, der in diesem Jahr für das Team Ur-Krostitzer Giant fährt, auf einen ebenfalls ausgezeichneten 10. Platz.
Bei der abschließenden Pressekonferenz gab es nur strahlende Gesichter: „Der Druck war schon groß für mich, aber ich bin aufgrund der letzten Erfolge mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein an den Start gegangen. Dabei wurde ich von meinen Teamkameraden glänzend unterstützt, die mir dann auch am Ende perfekt den Weg ebneten. Den Sieg widme ich meinem Großvater, der seit drei Wochen im Koma liegt und dem ich morgen das Meistertrikot vorbeibringen werde“, so ein überglücklicher und äußerst sympathischer Pascal Ackermann, der am kommenden Sonntag bei der Straßenmeisterschaft der Elite gegen Greipel, Kittel & Co. kräftig mitmischen will. Auf jeden Fall dürfte ihm nach den in diesem Jahr gezeigten Leistungen ein Profivertrag im nächsten Jahr sicher sein.
Auch der Vizepräsident Leistungssport des Bund Deutscher Radfahrer (BDR), Günter Schabel, war hocherfreut über eine gelungene Veranstaltung, die, mustergültig abgesperrt, für ihn ein absolutes Highlight war. Sein Dank an alle Verantwortlichen lässt hoffen, dass auch in Zukunft hochkarätige Rennen des BDR in der Hauptstadt zur Austragung kommen.
Bernd Mülle